Wenn man fragen würde, welche Gerichte für das Tessin typisch sind, kommen die Wurstwaren wohl selten an erster Stelle. Polenta und Risotto stehen da schon höher im Kurs, während viele Wurstwaren fälschlicherweise direkt Italien zugeschrieben werden. Dabei gehört die Hausmetzgete oder «mazza», wie sie im Tessin genannt wird, zu einer der ältesten Esstraditionen des Tessins. Früher wurde diese Tradition innerhalb der Dorfgemeinschaft gefeiert und zelebriert, jedes Dorf und Tal hatte seine ureigenen Wurst-Spezialitäten. Das vielfältige Angebot ist geblieben, die Spezialitäten jedoch sind längst nicht mehr nur Dorfgemeinschaften zugänglich.
Von Salami und Mortadella
Nicht nur für Italien, auch für das Tessin gehört der Salami, oder seine kleine Ausgabe Salametti, wohl zu den traditionsreichsten Würsten und sorgt zusammen mit feinen Käsevariationen in den Tessiner Grottos für willkommene und urchige Zwischenmahlzeiten. Salami wird hauptsächlich aus Schweine- oder Rindfleisch hergestellt. Ziegen-, Truten- oder Pferdefleisch wird aber ebenso verarbeitet wie auch Wildschwein oder Hirsch. Wie abwechslungsreich das Angebot nur schon im Kleinen ist, zeigt ein Blick auf die Produktepalette des Tessiner Wurstspezialitäten-Herstellers Rapelli.
Salami in den unterschiedlichsten Formen und Ausprägungen werden hier produziert. Mal mit weniger Fett wie der Gran Riserva, mal grob gemahlen wie der Grottino Rustico, gepfeffert wie der Pavé Pepe oder besonders aromatisch wie der Nostranella. Viele dieser Variationen haben berühmte Verwandte und Namens-Vetter in Italien, von denen sie sich als Schweizerische Variation mit traditionellem Schweizer Rezept unterscheiden.
Es sind aber längst nicht nur luftgetrocknete Salami, die das Tessin wurstmässig auf Trab halten. Auf eine echte Tessiner Platte gehören auch Schinken, Pancetta oder Mortadella. Letztere hat in der Tessiner Variante mit der weitaus bekannteren italienischen Mortadella-Ausgabe nur wenig gemeinsam. Viel eher gleicht die «Mortadella ticinese» dem Salami. Sie ist ebenfalls eine gelagerte Rohwurst und gibt ihre typischen Merkmale erst im Mund preis, mit ihrem unverkennbaren Geschmack nach Gewürzen, Knoblauch und vor allem Leber. Daneben geniessen aber natürlich auch die Tessiner die italienische Mortadella di Bologna, die Wurstspezialität aus Schweinefleisch.
Fasnachts-Wurst Luganighe
Nebst den kalten Wurstspezialitäten bietet das Tessin auch Würste zum Kochen, Braten und Grillieren. Besonders beliebt während der Grillsaison sind beispielsweise die Luganighe – wenn auch eher in der Deutschschweiz als im Tessin. Denn dort feiern die Luganighe ihren Jahreshöhepunkt zu einer ganz anderen Jahreszeit, nämlich zur Fasnachtszeit. Die Tessiner Hauptstadt Bellinzona hat eine grosse Fasnachtstradition.
Dazu gehört auch die «Risottata di Carnevale», ein grosses Risotto-Festessen auf der Piazza in Bellinzona. In grossen Töpfen wird für die Bevölkerung Risotto zubereitet. Als traditionelle Begleiter zum Risotto werden die Luganighe gereicht. Wie in Bellinzona findet eine solche «Risottata di Carnevale» auch in vielen anderen Tessiner Ortschaften statt.
Allgemein tauchen die kleinen würzigen Luganighe in so manchen typischen Risotto- oder auch Polenta-Gerichten auf. Die Würste werden aus Schweinefleisch sowie Knoblauch, Muskat, Zimt, Salz, Pfeffer und Rotwein hergestellt und gelten als Rohwürste – als «Rohwürste mit abgebrochener Reifung zum Gekochtessen». Denn nach der Herstellung werden sie zwar für einige Stunden getrocknet, anschliessend wird dieser Prozess jedoch unterbrochen. Würde man sie rund zehn Tage so trocknen lassen, könnte man die Luganighe wie frischen Salami verspeisen. So werden sie jedoch oft wie Saucisson gegart, manchmal noch in der Pfanne angebraten. Und zur Grillsaison sind sie natürlich auch vorzügliche und vor allem saftige Grillwürste.
Die etwas Edlere
Fast noch die typischere Grillwurst ist jedoch die Luganighetta, die noch etwas edlere Variante der Luganighe. Der Schweinefleischmischung werden je nach Rezept auch noch Gewürznelken, Marsala oder sogar ein kleiner Anteil Kalbsfleisch beigemischt, anschliessend wird die Mischung in Schafsdärme abgefüllt. Die Luganighetta könnte man am ehesten mit dünnen Schweinsbratwürsten vergleichen.
Oft wird sie nach dem Abfüllen schlangenförmig aufgerollt und gleich meterweise verkauft. Durch die etwas edleren Zutaten war die Luganighetta jedoch lange Zeit der Oberschicht vorbehalten und wird deshalb bis heute seltener als Luganighe in Traditionsgerichten mit Polenta oder Risotto verwendet.