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30. September 2024

Familiensache: Ein Arthur-Hänni-Krimi von Peter Inderbitzin – Teil 1

Plötzlich erschien ein dunkler Punkt am Himmel. Arthur Hänni, der private Ermittler aus Zürich, von Freunden kurz Art genannt, stand auf dem Balkon einer Deluxe Junior Suite des legendären Hotels «Victoria-Jungfrau». Er beobachtete den Punkt, der nun wie ein mächtiger Vogel mit blauen Schwingen über Interlaken schwebte und sich in grossen Kreisen der Erde näherte.
Plötzlich erschien ein dunkler Punkt am Himmel.

Arthur Hänni, der private Ermittler aus Zürich, von Freunden kurz Art genannt, stand auf dem Balkon einer Deluxe Junior Suite des legendären Hotels «Victoria-Jungfrau». Er beobachtete den Punkt, der nun wie ein mächtiger Vogel mit blauen Schwingen über Interlaken schwebte und sich in grossen Kreisen der Erde näherte.
Arthur zog genüsslich an seiner Zigarre, einer «Davidoff Signature Ambassadrice». Er hatte bereits ausgiebig gefrühstückt und seine Sachen waren gepackt. Doch er wollte das Ende dieses erholsamen Wochenendes noch möglichst lange hinauszögern.
Der blaue Vogel kreiste nun über der Wiese gegenüber dem Hotel und war natürlich ein Gleitschirm, der mit zwei eleganten Schwüngen zur Punktlandung ansetzte.
Arthur überlegte kurz, ob er diesen Sport auf seine «To-Do-Liste» nehmen wollte, doch er wusste, dass dies nicht seine Welt war.
Er brauchte Boden unter seinen Füssen und einen Raum mit
Ambiance, in dem er ein Glas Wein und eine Zigarre geniessen konnte. So wie am gestrigen Samstagabend, als er die «Victoria Bar» seines Hotels aufgesucht und im angegliederten «Salon Davidoff» einige schöne Stunden verbracht hatte.
Seine Zigarre wie auch sein Dreitage-Aufenthalt neigten sich dem Ende zu. Er warf einen letzten Blick auf die grüne Wiese und die dahinterliegenden Alpengipfel und wärmte sich einen langen Moment an den Sonnenstrahlen des Spätsommers. Er liess die vergangenen Tage des Verwöhntwerdens nochmals Revue passieren und war froh, dass er sich diese geleistet hatte. Schliesslich war sein letzter Auftrag erfolgreich gewesen und sein Auftraggeber hatte ihm das Honorar grosszügig aufgerundet. Arthur hatte sich einen neuen Anzug gekauft, passende Hemden dazu und als Höhepunkt diesen Aufenthalt in Interlaken.

Während der Fahrt nach Zürich war er guter Dinge und hoffte, dass zuhause ein neuer Auftrag auf ihn wartete, der ihm die nächste Auszeit finanzieren würde. Doch er hatte vergebens gehofft: Sein Beantworter war ohne Nachrichten und dies änderte auch nicht in den folgenden Wochen. Die Tage verliefen zähflüssig wie Teer. Die entspannte Stimmung, die Arthur aus Interlaken mitgebracht hatte, wich einer bedrückten Laune. Zudem roch es bereits nach Herbst und die Sonne machte sich rar.
Es war Freitag, und Arthur erinnerte sich, dass er an einem Freitag vor drei Wochen sein Genuss-Weekend angetreten hatte.
Jetzt sass er gelangweilt auf seinem Sofa im Wohnzimmer und legte die Füsse auf den Beistelltisch, auf dem sich noch ein Aschenbecher, sein Handy, die leere Station vom Fixtelefon und eine braune Holzkiste befanden. Er beschloss, sich etwas Gutes zu tun. Arthur öffnete die kleine Kiste und zählte. Von den einst 25 Zigarren hatten noch vier überlebt. Er nahm eine «Davidoff Grand Cru No. 5» in die Hand, betrachtete sie kurz und entzündete sie.
Er fragte sich, wo das Teil geblieben war, das in die Station gehörte. Ja, er war noch von der Generation, die ein Fixtelefon besass. Eingetragen auf «Privatdetektei A. Hänni – Ermittlungen in Stadt und Kanton Zürich». Er lehnte sich zurück, blies mit dem Rauch seiner Zigarre die trüben Gedanken in die Ferne und schloss die Augen.
Ein Klingelton, den er lange nicht mehr gehört hatte, riss ihn aus den Träumen. Die kleine Lampe der Fixstation leuchtete. «Wo ist das verdammte Teil?» Arthur suchte hastig, fand es unter der freitäglichen Gratiszeitung und nahm ab. Während er der Anruferin konzentriert zuhörte, legte er seine Zigarre behutsam in den Aschenbecher und machte sich einige Notizen.

Er hatte einen Auftrag.

Langsam kam er zu sich. Das Atmen fiel ihm nicht leicht, denn sein Mund war zugeklebt. Seine Augen waren verbunden und er hatte keine Ahnung, wo er sich befand. Seine Hände waren gefühllos. Als er sie bewegen wollte, schmerzten ihn seine Fesseln. Kabelbinder, dachte er. Auch seine Füsse waren fixiert. Seine Glieder waren schwer, jede Bewegung war eine Anstrengung. Sie mussten ihn betäubt haben, oder unter Drogen gesetzt. Er versuchte sich zu erinnern. Sein Kopf dröhnte jedoch. Sein Körper war müde, er wollte schlafen, doch sein Verstand ermahnte ihn wach zu bleiben. Er versuchte sich aufzusetzen, was ihm misslang. Er horchte in die Stille, hörte ein Rauschen. Konnte eine Autobahn sein, oder Wasser. Er versuchte, einzelne Geräusche festzuhalten, was ihm nicht gelang. Dann vernahm er Schritte, eine Türe wurde geöffnet und Licht drang für einen kurzen Moment in den unbekannten Raum. Doch er hatte die Augen bereits wieder geschlossen und stellte sich schlafend, als die Person an ihn herantrat.

«Richtige Detektive kennen keine Bürozeiten und keine Fünftagewoche. Sie streifen 24/7 allein durch die dunklen Gassen der Grossstadt, um deren Müll aufzuwischen.» Diesen Satz hatte Arthur so – oder so ähnlich – mal gelesen und ihm gefiel die Vorstellung des einsamen Schnüfflers, der kein Privatleben kannte, weil er Tag und Nacht für die gute Sache unterwegs war.
So wie er, der am frühen Samstagmorgen Richtung Oberstrass fuhr. Was er von der Anruferin erfahren hatte: Die Adresse im noblen Stadtteil Zürichberg und dass es um eine vermisste Person ging. Zudem hatte die Auftraggeberin nach seinem Tarif gefragt. Arthur hatte kurz überlegt, um seinen üblichen Tarif an die gehobene Adresse anzupassen, jedoch hatte die Anruferin nicht so lange warten wollen: «Egal, Geld spielt keine Rolle.» Diesen Satz hatte er sich gemerkt.
Er bestieg an der Haltestelle «Seilbahn Rigiblick» die Kabine der gleichnamigen Bahn und sah sich um. Zufrieden bemerkte er, dass er von den vier Fahrgästen mit Abstand der jüngste war. An der Endhaltestelle stieg er aus und die Susenbergstrasse hoch, um die ihm genannte Hausnummer zu suchen. Nach rund 500 Metern hatte er das Haus gefunden und betrachtete ausser Atem sein Ziel.
Neben dem Tor, das mit einem Wappen verziert war, befanden sich eine Klingel und ein Kameraauge, jedoch kein Namensschild. Arthur läutete, sagte seinen Namen und lächelte Richtung Kamera. Ein Summen ertönte, die Türklinke gab nach und er betrat das herrschaftliche Grundstück.
Eine sanft geschwungene Steintreppe – war das etwa Marmor? – führte an akkurat geschnittenen Zierbäumchen vorbei und brachte ihn zu einem Park, an dessen Ende ein Haus stand. Wobei Haus wohl nicht das richtige Wort war. Eine Villa, ein Anwesen war es, und die Eingangstüre dieser Villa erinnerte ihn an ein Kirchentor. Dieses wurde sogleich geöffnet und eine junge Frau in einem blauen Kleid kam ihm entgegen. Nach der Stimme der Anruferin hätte er auf eine ältere Person getippt.
«Herr Hänni, nehme ich an», begrüsste sie ihn, «bitte folgen Sie mir, Sie werden erwartet.» Ach so war das, klar, hier hatte man Angestellte. Während er der jungen Frau folgte, nahm er zur Linken eine Fläche wahr, die von einer Plane bedeckt war. Das konnte nur der Pool sein, daneben ein niedriges Gebäude mit drei Türen, dahinter Bäume. Auch zur Rechten schirmten Bäume das Gelände ab und spendeten dem davor liegenden Sitzplatz Schatten. Arthur beobachtete einen Gärtner mit herkulischer Gestalt, der Äste zurechtstutzte, und sah, dass hinter der Villa noch ein weitläufiges Terrain lag. Die junge Angestellte hatte eine der Flügeltüren geöffnet und bat ihn herein.

Familiensache: Ein Arthur-Hänni-Krimi von Peter Inderbitzin – Teil 1
Der Raum, den sie betraten, war ein Salon. «Bitte warten Sie hier, Frau Burckhardt wird sogleich kommen.» Arthur nickte und sah sich um. Das war eine andere Liga. Seine ganze Wohnung hätte in diesem Raum Platz gefunden. Die Möbel sahen elegant und teuer aus. Sie stammten definitiv nicht aus Schweden und waren auch nicht mit einem Inbusschlüssel zusammengesetzt worden. Arthurs Blick fiel auf den mannshohen Humidor in der Ecke, der, so schätzte er, Platz für dreitausend Zigarren bot. «Aha, auch einer aus der Zunft der Geniesser», dachte er, «dann schauen wir doch mal, was man hier so raucht.» Er spähte in den Humidor und erkannte die berühmten Marken: eine beeindruckende Sammlung.
Auf einem weissen Sideboard standen gerahmte Fotografien. Familienbilder, vermutete er. Mann und Frau auf dem Golfplatz, dann sie allein auf einem Segelschiff, mal beide vor der Glaspyramide des Louvre oder er mit Kollegen in einer Zigarren-Lounge. Hänni schaute genauer hin: Die Begleiter von Herrn Burckhardt kannte er nicht. Das grosse Portrait des Schauspielers Orson Welles hinter ihnen sagte ihm aber, dass sie sich in Stansstad befanden, in der «Orson Wine Bar und Cigar Lounge». Wollte er schon lange mal hin. Nur ein Bild zeigte keine Personen, sondern drei Wappen. Das blau-weisse war klar, Zürich. Daneben das Wappen, das er bereits am Eingangstor gesehen hatte, wahrscheinlich ein Familienwappen. Das dritte Wappen kam ihm bekannt vor, es zeigte eine Frau mit extravaganter Frisur, und in der einen Hand hielt sie…war das ein Werkzeug…?
Familiensache: Ein Arthur-Hänni-Krimi von Peter Inderbitzin – Teil 1
Die Türe gegenüber öffnete sich und Arthur konnte seinen Gedanken nicht beenden.
«Herr Hänni, freut mich. Setzen Sie sich. Man wird gleich Wasser bringen.»
Es klang weniger wie eine nette Bitte, es war eher ein Befehl. Frau Burckhardt kam ihm mit energischen Schritten entgegen, gab ihm flüchtig die Hand und setzte sich. Sie trug einen schwarzen Hosenanzug, hatte kurze, braune Haare mit grauen Strähnen und musste um die fünfzig Jahre alt sein. Wobei man das nicht genau sagen konnte, denn der Arzt ihres Vertrauens hatte sichtlich nachgeholfen und so sah sie aus wie die anderen Frauen ähnlichen Alters, die in ähnlichen Villen wohnten und ähnliche Spritzen erhalten hatten.
Arthur setzte sich.
Frau Burckhardt wartete, bis die junge Hausangestellte Wasser gebracht hatte und wieder verschwunden war, dann richtete sie sich an den Privatdetektiv. «Unsere Tochter möchte…. », sie korrigierte sich rasch, «wir möchten, dass Sie den Mann finden, mit dem unsere Tochter zusammen ist und der sich plötzlich in Luft aufgelöst hat.»
«Ihr Schwiegersohn?»
«Gott bewahre», entfuhr es der Dame des Hauses, «Mia, unsere Tochter ist seit weniger als einem Jahr mit ihm zusammen. Er hat sich anscheinend seit Tagen nicht mehr gemeldet. Mir scheint dies nicht unüblich für einen Mann dieser…. also für junge Männer von heute. Mia wollte gleich die Polizei einschalten, aber das kommt natürlich nicht in Frage. Mein Mann führt ein bekanntes Unternehmen und da wäre die Presse sofort auf dem Tapet. Wir haben unserer Tochter versprochen, dass wir die Suche privat angehen.»
«Denken Sie, dass ihm etwas zugestossen sein könnte?»
Frau Burckhardt zuckte gleichgültig mit den Schultern: «Kann sein, wer weiss das schon heutzutage. Aber ich glaube nicht. Ich vermute eher, dass er zur nächsten Blüte weitergeflattert ist.»
«Könnten Sie, oder Ihre Tochter mir die nötigen Angaben über den Verschwundenen liefern, damit ich meine Nachforschungen zielgerichtet beginnen kann?» Arthur gab sich alle Mühe, einen geschäftsmässigen Ton anzuschlagen. «Zunächst mal seine Personalien, Familie und Freundeskreis, eine aktuelle Fotografie des jungen Mannes sowie…»
Seine Aufzählung wurde vom Erscheinen des Hausherrn unterbrochen, der in den Salon stürmte. Herr Burckhardt war gross, grauhaarig, gutaussehend, trug einen dunklen Anzug und unter dem Arm eine Ledermappe. Er schien in Eile und entnahm seiner Mappe ein grosses Kuvert. «Herr Hänni, freut mich, und danke, dass Sie uns unterstützen,» sprach er hastig. «Hier sind alle nötigen Informationen, meine Tochter hat sie zusammengestellt. Und hier», er entnahm seiner Mappe ein weiteres Kuvert, das kleiner, jedoch wesentlich dicker war, «eine Anzahlung für Sie. Entschuldigen Sie, dass ich wenig Zeit habe, aber…, das Geschäft, Sie verstehen.»
«Am freien Samstag!», kam die spitze Bemerkung seiner Frau.
«Unsere Geschäftspartner aus dem Mittleren Osten sind nun mal heute in Zürich. Also werden wir den ganzen Tag Sitzungen abhalten. Und dann das Abendessen in einem der Zunfthäuser. Es wird sicher sehr spät werden.»
Er gab Hänni die Hand, klopfte seiner Frau im Vorbeigehen auf die Schulter, nahm eine Schachtel Zigarren aus dem Humidor, stopfte sie in seine Mappe und liess die Eingangstür hinter sich ins Schloss fallen.
Arthur überlegte, ob das Wappen, das er vorhin gesehen hatte und nicht richtig zuordnen konnte, dasjenige einer Zunft war. Ganz beiläufig, schliesslich sollte es nicht zu gierig aussehen, nahm er das dickere Kuvert und schielte hinein. Er sah eine stattliche Anzahl Schweizer Banknoten und war fürs Erste zufrieden.
Er schaute Frau Burckhardt an, welche einen desinteressierten Eindruck machte.
«Wieviel Zeit geben Sie mir?», fragte er und bereute seine Frage sofort, denn es war doch klar, dass man einen Vermissten so rasch wie möglich finden musste.
«Die Zeit, die Sie benötigen», war die kühle Antwort. «Hier haben Sie meine Karte, ich möchte von Ihnen persönlich informiert werden. Falls Sie mehr Geld brauchen, melden Sie sich. Ich denke, das ist alles.»
Sie standen auf und gaben sich die Hand. Während Frau Burckhardt den Raum verliess, war die junge Hausangestellte geräuschlos eingetreten.
«Ein eingespieltes Team», dachte Hänni. Das war aber auch die einzige Gemeinsamkeit, denn die Angestellte war ihm sympathisch, hingegen fand er die Dame des Hauses etwa so empathisch wie eine Planierraupe.
Auf der Steintreppe prallte er beinahe mit dem Gärtner zusammen, der Laub von der Treppe wischte. Sie nickten sich zu und Hänni musterte den Gärtner im Vorbeigehen. Er war einen Kopf grösser, bestand aus Muskeln und Tattoos und man konnte sich ihn gut als Türsteher jener Klubs vorstellen, in denen er, Arthur Hänni, nichts mehr zu suchen hatte.
Auf dem Trottoir war er keine zwei Meter weit gekommen, als ihm ein E-Bike den Weg abschnitt und ihn ein vermummter E-Biker unsanft am Arm packte.

Fortsetzung folgt in der Ausgabe 4/24

 

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