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«Ich habe stets ein Lächeln im Gesicht»

Seine Karriere als Koch verlief geradlinig wie ein präziser Flachpass. Für seine Berufung zum Chefkoch der Schweizer Fussballnationalmannschaft brauchte er keinen Spielervermittler. 28 Jahre lang kochte er in der ersten Mannschaft und lieferte bei jedem Turnier eine Top-Leistung ab. Am 15. November wurde Emil Bolli, der Koch des Vertrauens unserer Fussballer und Fussballerinnen beim Heimspiel der Fussball-Nati in die Pension verabschiedet.

tdm: Emil, kannst du dich in drei,  vier Wörtern beschreiben? Wer bist du?

EB: Ich bin 70 Jahre jung, Koch, habe eine Frau und drei Kinder. Ich bin ein ruhiger Typ, sehr zielstrebig, sehr fleissig, immer auf Achse.

Wie würden dich deine besten Freunde beschreiben?

Sie würden mich auch so beschreiben, denke ich. Und sie sagen immer, ich hätte stets ein Lächeln im Gesicht, selbst bei Stress.

Dass du zielstrebig bist, war dies schon während der Schulzeit bemerkbar?

Ja, ich wusste schon als Knirps in der Primarschule, dass ich Koch werden wollte. Ich habe deshalb nach der 2. Sek ein Jahr in Frankreich angehängt.

Wo warst du und weshalb Frankreich?

Ich war in Matzenheim, einem Dorf südlich von Strassburg im Elsass. Damals brauchte man im Beruf Koch französische Wörter. Wir besuchten täglich für vier Stunden den Franz-Unterricht, und den Rest des Tages haben wir gearbeitet. Das hat uns also in zweierlei Hinsicht genützt: Wir lernten die Sprache und wir lernten arbeiten.

Du hast also bereits erstaunlich früh gewusst, dass du Koch wirst. Weshalb? Hatte man dir eine Spielzeugküche geschenkt oder hast du einfach gern gegessen?

Meine Mutter war ja bereits Köchin. Sie und mein Vater haben zusammen ein Restaurant übernommen, in Schwyz. Ich habe als 9-Jähriger angefangen im Restaurant «Schäfli» zu arbeiten. Mein Vater, er war leider invalid, erledigte den Einkauf sowie die Büroarbeiten und meine Mutter kochte.

Was war dein Job?

Ich füllte z.B. das Getränkebuffet auf. Meine fünf Geschwister halfen ebenfalls, so waren zwei meiner Schwestern im Service tätig. Ich habe drei ältere Schwestern und zwei jüngere Brüder. Im Sommer war das Restaurant eine reine Familienangelegenheit, im Winter hatte meine Mutter noch eine Küchenhilfe.

Ich nehme an, dass deine Mutter dein Vorbild in der Küche war?

Natürlich, denn meine Tätigkeiten beschränkten sich auch nicht aufs Auffüllen des Getränkebuffet, sondern ich half später auch in der Küche und guckte in die Kochtöpfe meiner Mutter. Und ich habe natürlich auch gerne gut gegessen.

Was wurde im «Schäfli» in Schwyz gekocht?

Währschafte Schweizer Küche.

«Ich habe stets ein Lächeln im Gesicht»

Du hast dann das Kollegium Schwyz besucht – auch dort bist du nie vom Berufsziel Koch abgewichen?

Nein, nie, obwohl ich damals ein Lausbub war und den Professoren Agraffen – natürlich nur aus Papier – an den Kopf geschossen habe. Fächer wie Deutsch hatten mich halt weniger interessiert und im Fach Mathe war ich unterfordert. Trotzdem kamen dann zwei dieser Professoren zu meiner Mutter nach Hause, um ihr meinen Berufswunsch auszureden. Sie fanden, ich sei zu intelligent für den Beruf des Kochs.

War dann damals ein Koch nicht hoch angesehen?

Die einen fanden, der Beruf sei zu einfach, was sicher nicht stimmt. Andere störten sich daran, dass damals einige Köche dem Alkohol zugeneigt waren. Und man verdiente auch wenig, deshalb war der Beruf vor vielen Jahren nicht hoch angesehen.

Dein geradliniger Weg führte dann vom Elsass nach Bern, in eine Lehre.

Richtig, in den Gasthof «Ziegelhüsi» in Deisswil, nahe der Stadt Bern. Es war sehr streng, aber rückblickend betrachtet war es das Beste, was mir passieren konnte. Ich lernte zu arbeiten und war danach in meinem Beruf nie überfordert. Ich wusste, was diese Arbeit bedeutete.

Wenn Eltern nun ein Restaurant führen und ein Sohn Koch lernt… da war klar, dass du mal übernimmst?

Ich nicht. Eine meiner Schwestern hat für eine Zeit übernommen, als meine Eltern das Restaurant aufgaben. Aber wir waren auch nie Besitzer, wir waren nur Mieter. Ich selber habe mich nie als Wirt gesehen, ich wäre zu ehrlich.

Wie meinst du das?

Ich meine damit, dass ich zu wenig diplomatisch wäre und gewissen Gästen meine ehrliche Meinung sagen würde. Das wäre wohl nicht immer gut angekommen. Ich bin zwar ein schweigsamer Mensch, aber wenn mich etwas stört, dann sage ich es geradeheraus.

Statt im «Schäfli» hast du in berühmten 5-Sterne-Hotels gekocht.

Ja, ich war im Hotel Kulm in Arosa und im Parkhotel Vitznau. Als «commis de cuisine» war ich zuunterst in der Küchen-Hierarchie und verdiente damals 270 Franken im Monat. Ich wollte auch ins Ausland, nach Frankreich, aber dort betitelte man uns mit «Sauschweizer». Deshalb liess ich es bleiben.

Konntest du als Jungkoch eigene Ideen einbringen, oder musste man damals einfach nach Vorschrift kochen?

Heute kann man sicher viel besser seine eigene Kreativität einbringen, früher war das schwieriger. Ich habe es trotzdem ab und zu versucht, was manchmal dazu führte, dass ich einen «Zusammenschiss» bekam, manchmal aber auch ein Lob. Was ich am liebsten koche sind Fleischgerichte, Saucen, sowie Terrinen und Pasteten.

«Ich habe stets ein Lächeln im Gesicht»

Kam nach deinen Stationen in Arosa, Vitznau, Zermatt oder auf dem Bürgenstock nie der Wunsch auf, ein eigenes Restaurant zu führen?

Nein, diesen Wunsch hatte ich wie gesagt nie. Erst gegen Ende meiner Karriere kam das Catering dazu, was ich sehr gerne mache, auch heute noch.

Doch vorher ging eine ganz andere Türe für dich auf: Du warst Küchenchef im Hotel Bern und die Schweizer Fussball-Nati logierte dort.

Sie war mehrmals dort einquartiert, da es ein 4-Sterne-Hotel war und nur ein paar Minuten vom Stadion entfernt. Die Nati und der Staff waren stets zufrieden und sie sagten mir, falls sie mal im Ausland einen Koch bräuchten, würden sie gerne mich mitnehmen. Vor mir hatten sie noch keinen Koch, der die Nati begleitet hat.

Als sie dich anfragten, wie lange hast du über das Angebot nachdenken müssen?

Zwei Sekunden.

Aha, offensichtlich Fussball-Fan…

Ich wollte immer gerne Fussball spielen. Bei uns zuhause gab es einen Fussballplatz, der hiess «Chüechlibunker», ich war dort oft an den Sonntagen, machte auch den Linienrichter. Die Offiziellen des Klubs SC Schwyz ermunterten mich mitzuspielen. Doch als ich meinen Vater fragte, fand er, ich hätte im familiären Restaurant genug zu tun.

So endete also eine Karriere als Fussball-Star schon in den Ansätzen…

Ich glaube nicht, dass ich gross rausgekommen wäre… Aber wie bei vielen anderen Dingen ist es so, dass man zuerst etwas traurig ist, wenn sie nicht zustande kommen, dann aber im Rückblick betrachtet, war es richtig so und ich bin froh, dass ich meine Karriere als Koch gemacht habe.

Und Fussball, insbesondere die Fussball-Nati, wurde ein wichtiger Teil dieser Karriere.

Ja, jetzt erlebte ich die Nati aus nächster Nähe. Früher als Bueb hatte ich die Nati-Spiele am Radio verfolgt oder bei einem Kollegen zuhause am Fernseher.

Wann begann das Nati-Abenteuer?

Das war 1996. Zu Beginn war ich nur ein paar wenige Tage mit der Nati, bei einem Turnier waren es dann etwa vier Wochen. Gleichzeitig war ich immer noch Küchenchef im Hotel Bern. Zum Glück hatte ich einen Direktor, der selber auch fussballbegeistert war und stolz war, dass sein Hotel den Koch unserer Fussball-Nati stellte. Und ich muss auch meiner Frau danken. Sie hat mich immer unterstützt, denn ich war oft weg und gab meine Freizeit und viele Ferientage für den Job als Nati-Koch.

Was sind die speziellen Anforderungen an einen Nati-Koch?

Man muss sich schnell an einen neuen Ort anpassen können, man muss einerseits sein Ziel verfolgen, aber auch Kompromisse eingehen, man muss flexibel auf die Personen und die Umstände an einem fremden Ort eingehen können. Man muss bereit sein, Freizeit zu investieren und man muss auf die sich wandelnden Essgewohnheiten der Sportler reagieren können.

Viel Pasta reinstopfen, um Energie zu tanken, das ist vorbei?

Mit der Zeit hat man gemerkt, dass man verschiedene Arten von Kohlehydraten braucht. Generell sind die Menüpläne von Sportlern und Sportlerinnen vielfältiger geworden und mittlerweile arbeitet man auch mit Ernährungsberatern zusammen. Die gesellschaftliche Entwicklung zeigt sich auch bei der Fussball-Nati: Es gibt Flexitarier, Vegetarier oder Personen, die sich vegan ernähren wollen, und man muss auch gluten- oder laktosefreie Produkte anbieten.

Was ist heute sonst noch anders als vor 28 Jahren?

Als ich bei der Nati angefangen habe, gab es meist nur ein Menü. Heute stellen wir für die Spieler und Spielerinnen
ein reichhaltiges Büffet auf, mit Salat, Suppe, Fleisch, Fisch, Reis, Teigwaren, Kartoffeln und Polenta.
Früher nahm ich auch viel mehr Produkte von zuhause mit, während wir heute übers Internet unsere Wünsche anbringen können und vieles vor Ort beschaffen.
Man muss auch berücksichtigen, dass die Spieler heute zehn bis zwölf Kilometer pro Spiel rennen, also ein paar Kilometer mehr als früher, und dementsprechend müssen sie die verlorene Energie wieder über eine reiche Ernährung auftanken.

Diese Beschaffung vor Ort ist wahrscheinlich nicht immer einfach?

Man kann heute überall fast alles kaufen – manchmal erlebt man aber Überraschungen, wie auf den Färöern, wo es im Hotel nur tiefgefrorenen Fisch gab. Ich wollte jedoch frischen Fisch, und so ging ich persönlich zu den Fischern und kaufte ihnen am frühen Morgen den frischen Fang ab.
Und an gewissen Orten musste ich die ganze Küche nochmals gründlich reinigen, weil die Hygiene nicht meinen Standards entsprach.

Begannen deine Arbeitstage immer so früh?

Ich stand jeweils um fünf Uhr auf, war vor sechs Uhr in der Küche und bereitete das Frühstücksbuffet mit dem berühmten Birchermüesli vor. Erst nach dem Abendessen, so um 21 Uhr, war Feierabend. Es war streng, aber ich hatte – besonders an den Turnieren – trotzdem Zeit, mit den Spielern ins Gespräch zu kommen.
Pascal Zuberbühler, der langjährige Torwart der Nati, kam manchmal schon um sieben Uhr in die Küche und wir tranken Kaffee zusammen und plauderten über Gott und die Welt.

«Ich habe stets ein Lächeln im Gesicht»

Du warst mehr als der Koch, auch Vertrauensperson, Jasspartner …

Ja, manchmal kamen die Spieler zu mir in die Küche, weil sie einen Wunsch hatten, oder um zu plaudern. Oder ich konnte ihnen helfen, ein Problem zu lösen:
Ich erinnere mich an einen Match für die WM-Quali, 2001, in Serbien. Ein Spieler hantierte mit dem Physio zusammen an seinen Schuhen herum. Ich erfuhr, dass der Spieler ein Problem mit dem Sponsor bekäme, würde er mit den gewohnten Schuhen spielen. Ich habe dann die Schuhe genommen, bin zum Hotelmaler gegangen und dort haben wir die Schuhe nach den Bedürfnissen des Spielers gemalt.
Und mit Chapuisat, Magnin und Celestini habe ich oft und lange gejasst.

Ein Hobby von dir, das Jassen?

Richtig – nebst wandern, reisen,
Pilze sammeln und natürlich kochen.
Das hat schon im «Schäfli» begonnen, als ich 9 oder 10 Jahre alt war. Wenn ein Jasser fehlte, dann rief mich mein Vater und wir jassten mit unseren Gästen.
Auch die Frauen Fussball-Nati wurde auf dich aufmerksam. Wegen deiner Jass- oder deiner Kochkünste?
Ich bin kein schlechter Jasser, aber ich denke, es waren eher die Kochkünste. Ich begleitete die Frauen-Nati 2023 an die WM nach Neuseeland.

Sieht der Speiseplan bei den Frauen wesentlich anders aus wie bei den Männern?

Nicht wesentlich. Es gab schon ein paar Änderungen, so essen die Frauen mehr Gemüse und Fisch, weniger Fleisch. Wir hatten in Neuseeland auch mehr Smoothies und blutbildende Lebensmittel wie Spinat im Angebot. Und die Portionen sind etwas kleiner…

Deine Kochkünste und du als Persönlichkeit werden sowohl den Spielerinnen wie auch den Spielern fehlen, denn du hängst nach 28 Jahren Nati-Koch deine Kochlöffel an den Nagel.

Ich bin vor wenigen Wochen 70 Jahre alt geworden und werde am 15. November beim Heimspiel der Fussball-Nati gegen Serbien offiziell in die Pension verabschiedet.

Ich kann es mir kaum vorstellen, dass ein so aktiver Mensch wie du in den Ruhestand geht…

Ich habe schon noch Pläne: Ich bin immer noch im Catering tätig, fürs Bundeshaus, aber nur ein- oder zweimal pro Monat. Das habe ich meiner Frau versprochen. Und ich möchte nochmals nach Neuseeland, ein Land, das mir sehr gefallen hat, und mich auch an die Schweiz erinnerte. Ich reise ja gerne und habe jetzt mehr Zeit dazu.
Den Lebensabend ganz im Ausland zu verbringen, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich komme immer wieder gerne in die Schweiz zurück.

Lieber Emil, für deinen (Un)Ruhestand wünsche ich dir viel Freude und bedanke mich für das Gespräch.

Interiew: Peter Inderbitzin

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